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Die Macken der Logitech Harmony Touch

11.8.2014·Kommentare:  0

Update, 21.12.2014: Kurz nach Veröffentlichung dieses Artikels starteten auf Kickstarter zwei Universal-Remote-Projekte, ich habe den Abschnitt Alternativen entsprechend erweitert.

Wer viele Geräte, wie z.B. seine Heimkinoanlage, mit nur einer Fernbedienung steuern möchte, stößt bei seiner Suche bald auf die Harmony-Reihe von Logitech. Natürlich befinden sich darunter auch Knopfmonstrositäten, mit der Touch-Reihe gibt es aber auch Universalfernbedienungen mit aufgeräumtem Interface. Nach kurzer Sichtung von Testberichten und durchwegs guten Bewertungen auf Amazon fiel mir die Entscheidung leicht. Und Touchdisplay? Hey, warum nicht? Dachte ich mir damals jedenfalls

Dieser Lag!

Das allergrößte Problem – und in meinen Augen das absolute K.-o.-Kriterium – der Harmony Touch fällt einem sofort bei der ersten Benutzung auf: Im Vergleich zu Originalfernbedienungen weist diese eine erhebliche Verzögerung (»lag«) auf, bis Geräte auf einen Tastendruck reagieren.

Was heißt »erheblich«? Geschätzt 200 bis 250 Millisekunden pro Tastendruck. Das bedeutet, dass man bereits ab zwei bis drei Tastenbetätigungen sehen kann, wie der Receiver, der Blu-ray-Player etc. »nacharbeitet«. Der Wert mag nicht hoch klingen, die Auswirkung ist aber bereits bei normaler Nutzung äußerst irritierend und spätestens bei Eingabe von Suchbegriffen (z.B. Filmtiteln auf Apple TV) schlicht untragbar. Wer z.B. die Lautstärke von 67 auf 72 stellen möchte, muss entweder ganz langsam drücken oder die Augen schließen und beim Drücken der Volumetaste mitzählen – und überhaupt hoffen, dass alle Kommandos vom Empfänger verarbeitet werden. Denn selbst das ist nicht gewährleistet, wenn sich die Befehle »anstauen«. Wir sprechen hier übrigens von einer 130-Euro-Fernbedienung.

Verzögerung über die MyHarmony-App einstellen?

Nun gibt es aber von Logitech eine App namens MyHarmony, welche die Konfiguration dieser Verzögerung erlaubt. Der Sinn dahinter ist, dass manche Geräte nach dem Empfang eines Infrarotbefehls einige Zeit brauchen, bis sie den nächsten Befehl akzeptieren. Wer zu schnell drückt, dem greift Logitech sozusagen unter die Arme, indem es die eingestellte Verzögerung zwischen die Befehle einschiebt. Von diesen Verzögerungen gibt es verschiedene Varianten:

Letztere ist die entscheidende Einstellung. Denn oben beschriebenes Verhalten ließe sich einfach auf zu hohe Werte beim Inter-Key-Delay zurückführen. Und tatsächlich kann es sein, dass die MyHarmony-Datenbank für ein Gerät Werte zur Verfügung stellt, die mehrere hundert Millisekunden betragen. Das Problem: Selbst wenn man dieses Delay auf null setzt, bleibt eine Verzögerung von 200 bis 250ms, die man einfach nicht abstellen kann.

Wer glaubt, dass es sich bei meiner Harmony Touch um einen Defekt handelt, braucht nur entsprechend zu googeln – etliche andere haben das Problem auch:

Wenn der letzte Beitrag vom User »madhuski« im AVS-Forums-Thread korrekt ist, dann gute Nacht, Logitech …

Ich habe dazu den ursprünglichen Thread aus dem Logitech-Forum herausgesucht, und dort schreibt ein zumindest als »ehemaliger Logitech-Mitarbeiter« gekennzeichneter User tatsächlich:

[] With all Harmony remotes there is a set 50ms to 100ms delay that happens between any and all commands due to it being to the way we implement the codes on the remote. Therefore it will almost never get down to a true 0ms delay as a hard-coded and built OEM remote is.

Und:

[] the buffering (or queuing up) of commands cannot be controlled. It’s just the way the hardware, firmware and software of the remote interact. In later Harmony models we were able to improve that internal delay starting from the 1100, to the 900, 700 and now 650, 600 & 300. Unfortunately, the prior line of remotes up to and including the Harmony One are more prone to noticing these »buffering« or bursting of commands.

Auch wenn ich die Authentizität des Users nicht überprüfen kann und der Beitrag bereits aus 2010 ist, würde das zumindest meinen Eindruck bestätigen, denn eine von mir getestete Harmony 650 (ohne Touchbedienung) schien wesentlich schneller zu reagieren (ich werde versuchen, diese nochmals zu testen). Und das würde bedeuten, dass Logitech es nicht schafft, bei seinen Premium-Modellen – in einem Preisbereich von je nach Modell ungefähr 120 bis 220 Euro (!) – verzögerungsfrei Infrarotbefehle zu senden.

Holzweg Touchscreen

Mit allem, was ich ab hier schildere, könnte ich mich im Gegensatz zum »Lag« sogar noch abfinden, erwähnen will ich es aber trotzdem.

Nachdem die Smartphone-Welt vor Jahren komplett auf Touchscreens umgestellt hat, hat irgendjemand irgendwann die »geniale« Idee gehabt, diese auch in Fernbedienungen einzubauen. Das Problem: Nichts ist so schnell wie das Drücken eines echten Knopfs, den man sogar blind ertasten kann. Und nichts ist so langsam, wie auf einem lahmen Touchscreen, der von einem lahmen Betriebssystem gespeist wird, herumzuwischen, um zur gewünschten Option zu gelangen.

Wer auf seinem Handy im Web surft, Twitter oder Facebook checkt oder Mails liest, hat den Screen immer im Blick – hier sind Touchscreens super. Das ist bei Fernbedienungen einfach nicht der Fall – da schaut man auf den Bildschirm und will die Einstellungen ohne (zumindest ohne sehr langen) Blick auf die Fernbedienung vornehmen – und genau das funktioniert mit Touchscreens nicht. Natürlich kann ein Display unterstützend eingesetzt hilfreich sein, aber unverzichtbare Befehle wie Kapitelsprünge oder Gerätewechsel ausschließlich über einen Touchscreen zugänglich zu machen ist ein absolutes No-go (dazu gleich mehr).

Leider hat Logitech den Screen auf der sonst recht aufgeräumten Harmony Touch sehr prominent platziert und dafür sogar die wichtigsten Tasten (Play, Pause, Zurückspulen, Vorspulen) ganz oben, außerhalb der Reichweite des Daumens, angebracht (Knöpfe für Kapitelsprünge wurden gleich ganz eingespart). Will man diese Tasten drücken, ist immer ein Umgreifen erforderlich. Und dass man die Off-Taste, die wirklich alle Geräte ohne Rückfrage ausschaltet, knapp über dem Zurückspulen-Button platziert hat, ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass wirklich niemand bei Logitech diese Fernbedienung privat verwendet.

Über die Entscheidung, die Konfigurationssoftware MyHarmony in Microsofts Silverlight zur Verfügung zu stellen, und die Probleme, die man dadurch am Mac mit fehlerhafter Silverlight-Erkennung durch MyHarmony eine Zeit lang gehabt hat, kann man da schon fast schmunzelnd hinwegsehen …

Alternativen?

Gleich vorweg, bezüglich Alternativen sieht es mager aus. Vom Tastenlayout und der Form her stelle mir so etwas Schickes wie die LG-Smart-TV-Fernbedienungen vor: einfach, handlich, kein unnötiger Ziffernblock. Diese funktionieren aber eben nur mit Smart-TVs von LG.

Einen mit Logitech vergleichbaren Hersteller gibt es meiner Ansicht nach nicht (mehr). Philips hat einmal vergleichbare Fernbedienungen hergestellt, aber das aktuell erhältliche Sortiment ist ausgedünnt und die einzige »moderne« Universalfernbedienung ist 2012 erschienen und scheint der Harmony 650 sehr ähnlich zu sein.

Klassische Hersteller wie One For All arbeiten mit Herstellercodes, wodurch manchmal Geräteklassen wie Beamer ausgeschlossen sind (das Problem gibt es offenbar auch bei meiner Onkyo-Fernbedienung, die sich sonst auch universal benutzen lässt).

Wer seine Suche ein bisschen ausweitet und nach Fernbedienungen für HTPC sucht, stößt auf Billighersteller wie Mele oder Rii, deren Konzept zwar vielversprechend klingt, deren genaue Funktionsweise aber nicht vom Hersteller dokumentiert ist und die für die Tastaturfunktion anscheinend einen proprietären Dongle brauchen, den man im Heimkinobereich nirgends anstecken kann (von in Rezensionen angemerkter minderer Hardwarequalität einmal abgesehen).

Aber wir haben ja 2014, und was macht man da in so einer Situation? Richtig, man schaut auf Kickstarterund findet dort diesbezüglich bis auf ein paar gescheiterte Projekte leider nichts.

Update, 21.12.2014: Auf Kickstarter gibt es derzeit mit AnyMote und Thinker zwei erfolgreich finanzierte Projekte, die 2015 erscheinen sollen.

Fazit

Ehrlich gesagt würde ich die Harmony Touch ja wirklich gern mögen. Die Verarbeitung ist top, die Tasten haben einen guten Druckpunkt, sie liegt gut in der Hand, die Verwaltung über MyHarmony funktioniert mittlerweile auf einem akzeptablen Niveau, das Layout ist aufgeräumt, und sie sieht auch noch gut aus. Aber die nicht abstellbare Verzögerung beim Senden von Befehlen macht jede Benutzung zu einer nervtötenden Erfahrung.


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